Verlinken? Was ist das denn?

Oh nein. Ich will doch gar nicht der breiten Front „Blogger vs. Traditionsmedien“ beitreten. Diese ganze Diskussion, die in letzter Zeit tobt, finde ich höchst selbstzweckhaft und wenig zielführend. Ich glaube nicht, dass Blogs die herkömmlichen Medien verdrängen werden. Und umgekehrt wird es eh nicht kommen. Für den Zustand gibt es ein Wort: Koexistenz.

Andererseits gibt es Posts (und wohl auch ganze Blogs), die sollte es besser nicht geben (ich hoffe, dies(es/er) gehört nicht dazu). Aber manchmal entdeckt man auch in den traditionellen Medien Artikel, die sollte es genauso wenig geben.

Den hier zum Beispiel: Ein Slibowitz auf Ahmadinedschad, erschienen am 27. Juni auf Spiegel Online. Da lässt sich der Autor lang und breit über die Bestätigung seines Weltbildes aus. Okay, das sei ihm gestattet. Aber lernt man nicht als angehender Journalist, Quellen zu zitieren? Im WWW gibt es dafür eine Methode, die nennt man Verlinken. Das kommt auch im „H“ von HTTP vor: „Hypertext“. Die Möglichkeit, Inhalte zu verknüpfen oder zu verlinken, damit das Sprungziel mit einem Klick erreichbar ist.

Diese Möglichkeit des Verlinkens ist einer der Grundpfeiler des WWW und hat mit dazu geführt, dass das Internet in den letzten 10, 12 Jahren eine so bedeutende Stellung für viele von uns eingenommen hat. Man stelle sich nur vor, nach einer Google-Suche müsste man die Adressen der Suchergebnisse mühsam abtippen oder per Copy&Paste in die Adresszeile übertragen – das WWW wäre immer noch die Spielwiese einer technikverliebten Elite, die Hornbrillen trägt und das andere Geschlecht vorwiegend aus bildhaften Erzählungen kennt (war doch so 1993, oder?).

Wozu also nun diese Grundsatz-Diskussion? Der verlinkte Artikel enthält seinerseits keinen Link. Nicht einen. Dabei würde sich das anbieten, denn es werden da vor allem Webseiten, Blogs und Foren zitiert. Also allesamt Quellen, die sich dank WWW ganz hervorragend verlinken lassen.

Der Autor überträgt aber nun den Lesern die etwas mühsame Aufgabe, die Zitate bei Bedarf selbst zu prüfen. Also prüfen wir mal Zitate:

[…] Zunächst war da viel Schweigen. Auch Tage nach den riesigen Demonstrationen und den Drohungen des Regimes in Teheran fand sich etwa im Leitorgan der Linken, dem „Neuen Deutschland“, kein Sterbenswörtchen über die dramatischen Ereignisse. Das gleiche Bild bot sich auf der Homepage der Partei Oskar Lafontaines.

Eine merkwürdig ansteckende Schweigegrippe.

Doch halt, ganz unten rechts schließlich die zwanzig Zeilen starke Stellungnahme des angeblichen Reformers und Ex-Stasi-IM André Brie, derzeit noch Europa-Abgeordneter seiner Partei: Das offizielle Wahlergebnis, der überwältigende Sieg von Präsident Ahmadinedschad, sei „Ausdruck für das Scheitern der westlichen Konfrontations- und Demütigungsstrategie“. […]

Nehmen wir einmal an, die Homepage der Partei Oskar Lafontaines sei die-linke.de. Doch halt! Ganz unten rechts finde ich dort derzeit keine Stellungnahme. Der Name „brie“ ist auf der gesamten Homepage der Linken nicht zu finden. Nutzen wir also die Suchfunktion und suchen nach „brie iran“. Treffer Nummer 1: Iran: Eskalation der Lage für niemanden von Interesse. Darin heißt es dann in der Einleitung:

DIE LINKE verurteilt auf das Schärfste die Verhaftungen und brutalen Misshandlungen von Demonstrantinnen und Demosntranten durch die iranischen Sicherheitskräfte, die bereits zahlreiche Todesopfer gefordert haben, […]

Klingt für mich nicht nach viel Schweigen. Diese Pressemitteilung der Linken ist auf den 18. Juni datiert, der Spiegel-Artikel auf den 27. Juni – mehr als genug Zeit, die PM zu entdecken, die auch heute noch auf der Homepage der Linken verlinkt ist.

Schlussfolgerung: Ich muss wohl die falsche Quelle gefunden haben…

Nächste Quelle: Das oben zitierte Neue Deutschland. Höchst vermessener Weise nehme ich an, dieses Neue Deutschland ist gemeint. Hier wurde ich auf der Homepage nicht fündig. Aber es gibt ja auch eine Suchfunktion. Die findet dann diesen Artikel, datiert auf den 26. Juni (ein Tag vor dem Spiegel-Artikel): Tiefe Legitimationskrise der Islamischen Republik. Darin heißt es z.B.:

Das Wahlergebnis wird vom ehemaligen präsumtiven Khomeini-Nachfolger, zwei Ex-Präsidenten, einem Ex-Premier, zwei Ex-Parlamentpräsidenten, zwei ehemaligen Generalstaatsanwälten und einem Ex-Kommandeur der Revolutionswächter angefochten. Viele Indizien deuten darauf hin, dass Mir Hussein Mousawi die Wahl deutlich gewonnen hat.

Klingt nicht nach viel Schweigen, und auch nicht gerade nach einem Hurra für Ahmadinedschad. Gut, der Artikel ist nicht so prominent auf der Startseite verlinkt und ist nicht schon eine Woche alt. Aber das Bild der geschlossen hinter dem iranischen Regime stehenden Linken kann ich auch hier nicht entdecken.

Schlussfolgerung: Ich muss wohl schon wieder die falsche Quelle gefunden haben…

Nächstes Spiegel-Zitat:

In einem Attac-Forum wird die Wahl in Iran auf sehr eigene Weise interpretiert: „Die Wahlbeteiligung der Bevölkerung ist klares Indiz für ein funktionierendes legitimes Staatswesen. […]“

Fragen wir eine potentielle Anlaufstelle. Dort liest man offenbar auch den Spiegel. In der Pressemitteilung Attac und Iran: Spiegel-Artikel unseriös heißt es beispielsweise:

So stammt das angebliche Attac-Zitat nicht wie behauptet aus einem Attac-Forum, sondern aus einem namentlich gezeichneten Kommentar einer externen Autorin, der zu Dokumentationszwecken auf eine Internet-Seite der Attac-Arbeitsgemeinschaft „Globalisierung und Krieg“ gestellt wurde. Der Text gibt erkennbar weder eine Position von Attac Deutschland noch der AG wieder. Jutta Sundermann: „Wäre es dem Autor wirklich um eine seriöse Recherche gegangen, hätte bei Zweifeln ein Anruf in der Pressestelle von Attac genügt.“

Da sich Attac angesprochen fühlt, habe ich da diesmal vielleicht sogar die richtige Quelle gefunden?

An diesem Punkt habe ich die ersten 3 mehr oder weniger konkret benannten Quellen des Spiegel-Artikels abgegrast, und jede zeichnet ein Bild, das dem Artikel geradezu exakt entgegengesetzt ist. Ob es mit weiteren Quellen auch so geht, möchte ich jetzt nicht weiter untersuchen. Das Bild, das ich vom verantwortlichen Spiegel-Redakteur habe, hat sich an dieser Stelle gefestigt. Es ist alles andere als positiv, selbst wenn ich unterstelle, dass sich in den verbleibenden ca. zwei Dritteln des Artikels sämtliche Quellen bestätigen ließen.

Im Ergebnis aber bleibt die Erkenntnis: Weil jemand für ein bekanntes, eher traditionelles Medium schreibt, befreit ihn das nicht von seinen journalistischen Pflichten. Zu denen gehört, seine Quellen zu nennen – und gerade im WWW ist das nun wirklich ein Kinderspiel.

Vielleicht sollte der Autor des Spiegel-Artikels seinen Job an den Nagel hängen und unter die Blogger gehen. Von denen erwartet eh niemand, dass sie vernünftig schreiben.

[Edit 23. Juli 2009] Ein gewisser David Weinberger bringt dies wesentlich besser auf den Punkt:

Transparency is the new objectivity (Englisch)

Transparenz ist die neue Objektivität (Deutsche Übersetzung)

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