Demokratische Inkonsequenz
Es geht, wie könnte es dieser Tage anders sein, um das Schweizer Minarett-Verbot. Ich habe davon bislang nur Bruchstücke mitbekommen, es kann also gut sein, dass mir ganz wesentliche Informationen fehlen. Ich fasse also, damit wir uns hier nicht missverstehen, einfach mal meine Wahrnehmung zusammen:
- In der Schweiz gab es einen Volksentscheid mit der Frage „Soll der Bau von Minaretten in der Schweiz erlaubt bleiben“?
- Dieser Volksentscheid kam zu dem Ergebnis „Nein, das soll nicht erlaubt bleiben“
Ich nehme an, dass für das erfolgreiche Einreichen eines Volksentscheides in der Schweiz bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen. Dass der Inhalt und das Ziel des Plebiszites mit der Verfassung konform gehen etwa. Oder dass das Thema ausreichend relevant ist (dass also nicht das ganze Land zu Abstimmungen über regionale oder lokale Belange genötigt wird).
Und für den Erfolg des Entscheides ist es ja vermutlich auch notwendig, dass nicht nur eine Mehrheit zu Stande kommt, sondern dass auch eine Mindestmenge an Abstimmungsberechtigten überhaupt an der Abstimmung teilnimmt. Wäre ja blöd, wenn man möglichst versteckt einen Volksentscheid ausruft, dann mit 2.500 Leuten zur Wahl geht, von denen fast jeder mit „Ja“ stimmt, und wenn man dann ein Ergebnis mit über 90% Pro-Stimmen verkündet. Damit ein solcher Volksentscheid überhaupt gültig ist, müssen ja vermutlich mindestens x% der Stimmberechtigten an der Abstimmung teilnehmen (ich würde für X keinen Wert unter 50 akzeptieren. Keine Ahnung, wie die Schweizer das handhaben).
Wenn ich also meine Wahrnehmung und meine Annahmen zusammenwerfe, dann kommt dabei heraus: Das Volk hat mehrheitlich entschieden, dass in der Schweiz künftig keine Minarette mehr gebaut werden sollen. Wenn man aber nun einen Rundflug durch die deutsche Medienlandschaft startet, scheint es, dass unser Nachbarland dem Rechtspopulismus oder gar -extremismus verfallen ist, dass Ausländerhass und Islamophobie dort an der Tagesordnung sind und – jetzt aber wirklich – den Anfängen gewehret werden muss.
Ach ja. Und dass Volksentscheide böse sind. Jedenfalls, wenn das Ergebnis von dem abweicht, was Politik und Medien für akzeptabel halten. Aber sind Volksentscheide nicht gerade dazu da? Dass das Volk auch Dinge entscheiden kann, die Politik und Medien eben gerade nicht für akzeptabel halten? Weil Politik und Medien zwar eine bestimmte demokratische und gesellschaftliche Legitimierung haben, weil sie aber eben auch nicht immer den Willen des Volkes repräsentieren?
Die Art und Weise, wie die Schweizer Volksentscheidung in deutschen Medien aufgenommen, moderiert und kommentiert wird, empfinde ich als in höchsten Maße demokratiefeindlich. Stellvertretend ein Zitat aus dem Focus, in dem die Schweizer Außenministerin zu Wort kommt:
Die Ministerin äußerte sich betroffen über das Ja zur Minarett-Initiative der Rechtspopulisten und beklagte, dass dadurch die „Freiheit zur Ausübung der muslimischen Religion in der Öffentlichkeit eingeschränkt“ werde. Es werde womöglich Sache des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sein, eine Entscheidung in dieser Frage zu treffen.
Sagte ich eben „demokratiefeindlich“? Da hat nun offenbar das Schweizer Volk etwas entschieden, was bestimmten Schweizer Politikern nicht passt, und die machen was? Das ganze (womöglich) an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte delegieren?
Das Spielchen kann ich auch: „Lass uns eine Münze werfen. Wenn ich gewinne, kriege ich 50 Mark von dir, wenn du gewinnst, kriegst du 50 Mark von mir! [Münzwurf] Hey, Moment, du hast gewonnen…? Das war so nicht abgemacht!“
Es geht hier aber nicht um schlechte Verlierer. Es geht um eines der demokratischsten Instrumente, die auf nationaler Ebene existieren: Um den Volksentscheid. Wenn also das Volk auf diesem Weg mehrheitlich eine Entscheidung fällt, dann haben Schweizer Außenminister diese Entscheidung genauso zu akzeptieren wie Deutsche Nachrichtensprecher. Sagt ja keiner, dass die glücklich sein müssen. Aber wenn sie es so darstellen, dass das Volk objektiv die falsche Entscheidung getroffen hat, dann sind sie nicht einfach schlechte Verlierer – dann sind sie so antidemokratisch, dass man an dieser Stelle wirklich das Recht und vielleicht sogar die Pflicht hat, zu rufen: Wehret den Anfängen!
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